Donnerstag, 6. September 2012



Von Chris van Harb
eine Kriminalistische Zombie-Komödie


Leseprobe

5:36 Uhr
„Die Kehle, brutal herausgerissen. Obwohl die Augen ebenfalls fehlen bezweifle ich, dass man sie unter starker Gewalteinwirkung entfernte.“ Gerichtsmediziner Doktor Olaf Ronker strich zur Veranschaulichung mit seinem Zeigefinger über die klaffende Wunde in der sich noch vor kurzem der Kehlkopf befand. Dunkelbraune Blutkrümel bedeckten das eierschalenfarbene Gummi seiner Handschuhe.
„Wie darf ich das verstehen? Weg ist weg! Und wenn ich mir das Gesicht der Toten anschaue, sieht es danach aus, als ob sie einen eher unerfreulichen Abgang erlebte.“
Meiner Stimme versuchte ich einen Hauch Ironie beizumischen um den Würgereiz, der sich trotz der fünf Jahre Berufserfahrung bei solchen Ermittlungen einstellte, zu überspielen.
„Schauen Sie hier: Das Hautgewebe am Hals deutet auf eine gewaltsame Entfernung des Kehlkopfs hin. Um die Augenhöhlen hingegen gibt es keine offensichtlichen Verletzungen.“ Als ob es ihm gefiel, über verstümmelte Körperöffnungen zu fahren, ließ Doktor Olaf Ronker seinen Finger in das Loch gleiten, wo sich bei gesunden, und vor allem lebenden, Menschen das Sehorgan befindet.
„Soll heißen?“
„Ich tippe“, Ronker spitzte seine Lippen und atmete geräuschvoll durch den Mund ein, „auf ein Heraussaugen der Augen.“
„Bitte? Welcher Psychopath tut so etwas?“
„Das heraus zu finden fällt in Ihr Fachgebiet, Frau Reifh.“
Die herablassende Art des Gerichtsmediziners missfiel mir vom ersten Zusammentreffen an. Obwohl sein äußeres Erscheinungsbild mein Herz höher schlagen ließ, fand ich seinen Ton mir gegenüber unpassend. Immerhin war ich einige Jahre älter als er. Und länger im Dienst. Aber in unserer heutigen Zeit durften sich Mixes aus George Clooney und Brad Pitt alles erlauben.
„Natürlich, Herr Ronker.“ Auf Doktor verzichtete ich absichtlich. Arroganter Schnösel. „Gut, die Augen herausgesaugt und der Kehlkopf herausgerissen. Glauben Sie für die DNA-Analyse abgebrochene Fingernägel oder Hautpartikel im Halsbereich zu finden?“
„Wohl kaum denn die Beseitigung des Adamsapfels erfolgte ebenfalls mit dem Mund. Sehen Sie hier, deutliche Bissspuren.“
Fassungslos blicke ich auf die blutverkrustete, faustgroße Wunde am Hals der Frau und entschied, mir eine kurze Auszeit zu gönnen. Wortlos wendete ich mich ab und ging Richtung Hauseingang. In der Glastür sah ich mein Spiegelbild und erschrak. Nicht so sehr wie beim Anblick der Toten aber nah dran. Vor knapp zwanzig Minuten riss mein Handy mich aus dem „Tiefschlaf“ mit der Information, dass man in meiner Nachbarschaft eine Frauenleiche fand. Für diese ruhige Dorfgegend ein Highlight und darum verwunderte es wenig, dass sämtliche Einsatzwagen mit blinkendem Blaulicht vor dem Tatort standen.
Meine vom Kopfkissen einseitig plattgedrückte Kurzhaarfrisur lenkte von den aufgequollenen Augen ab, die noch Stunden brauchten, um sich der Wachphase anzupassen. Kleidungstechnisch war ich, abgesehen von dem zermatschten Fleischbrocken auf dem Boden, der absolute Hingucker. Über einer neongrünen Jeans trug ich ein pinkes Mickey Mouse Shirt. Privat bevorzugte ich knallige Farben und in der plötzlichen Hektik, mitten in der „Nacht“, plünderte ich wahllos den Kleiderschrank. Karsten Hanke, mein stets schlechtgelaunter Kollege, reichte mir seine braune Cordjacke. Nette Geste, aber das Teil hing, wie ein ausgewaschener Kartoffelsack an meiner zierlichen Figur und ich bezweifelte, dass ich nun besser aussah. Aber zumindest passender.
Schnorkheim: Ein kleiner Ort mit weniger als zweitausend Einwohnern. Tendenz sinkend. Die Jugend zog es in die Stadt und die Alten unter die Erde. Neben einem Kleinwarengeschäft, einem Friseur, einem Sportlerheim und einem florierenden Blumenladen direkt neben dem Friedhof, gab es noch die Dorfkneipe. Hier spielte sich das wahre Leben von Schnorkheim ab. Alle Generationen trafen sich, um über brisante Themen wie Lauseier, Kartoffelfäule oder Mottenbefall zu sprechen.
Jeder kannte jeden und irgendwie waren alle miteinander verwandt. Oberstes Gebot: Nachbarschaftshilfe inklusive einem freundlichen Umgangston. Der letzte Skandal, mein Einzug ins Dorf, lag drei Jahre zurück und schürte die Gerüchteküche. Junge Frau Mitte zwanzig, ledig, leicht untergewichtig mit einer Walther P 99 am Gürtel. Dazu mein extravaganter Kleidungsstil. Wochenlang führte ich neben den Gemüsekrankheiten die Topliste der Kneipenthemen an. Wo kommt die her? Was will die hier? Womit verdient die ihr Geld? Statt direkt zu fragen, überhäuften die Schnorkheimer mich mit Willkommensgeschenken. Die Frauen schleppten einen Kuchen nach dem anderen an, um ihn in meiner Wohnung bei einer Tasse Kaffee zu verspeisen. So spionierten sie die Räumlichkeiten aus und entlockten der Neuen wichtige Informationen. Bereitwillig ordnete ich mich ihren Sitten und Gebräuchen unter und ein halbes Jahr später saß ich bei einem Glas Bier am Kneipentresen und jammerte über Mehlmotten, die sich in meiner Küche einnisteten.
Der Grund nach Schnorkheim zu ziehen lag auf der Hand. Es erinnerte an ein ruhiges und hübsches Märchendorf. Kleine Häuser umsäumt von Wein- und Efeuranken. Geranienkästen an den Fenstern und Sitzbänke vor den Toren. Idylle pur.
Tina Müllers bestialischer Mord störte den Landfrieden empfindlichst. Und auch mein freies Wochenende, welches ich mir nach zwei Monaten Durcharbeiten, redlich verdiente. Aber erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. C’est la vie. So ist das Leben. Bestes Beispiel dafür, die erst seit kurzem gemeuchelte Leiche vor meinen Füßen.
Während die Spurensicherung ihrer Arbeit nachging, suchte ich mir ein abgelegenes Plätzchen, um die Gesamtsituation zu erfassen.
Im ordentlich gestalteten Vorgarten neben einer betenden Engelsfigur lag Tina. Bizarrerweise strahlte der Anblick Harmonie aus. Tasche, Handy, voller Geldbeutel und Autoschlüssel um sie verstreut. Alles in allem ließ vermuten, dass ein Raubüberfall ausschied, denn sonst stände Tinas Porsche wohl kaum noch in der Einfahrt. Es sei denn, der Mörder war minderjährig und ohne Führerschein. Eher unwahrscheinlich, trotzdem machte ich mir eine Notiz. Nur wer jede winzigste Kleinigkeit beachtet schnappt am Ende den Mörder.
Zur Person Tina Müller gab es kaum spektakuläre Details. Eine Bilderbuchschönheit mit langen blonden Haaren, puppenhaftem Gesicht und natürlichen Monstervorbau. Letzten Monat feierte sie im Kreise der Dorfgemeinschaft ihren neunzehnten Geburtstag. Offiziell Single aber inoffiziell wusste die Gerüchteküche, dass sie eine Liaison mit dem Milchbauern pflegte. Was Olaf den Winzer ärgerte, denn der plante eine Verheiratung mit ihr und seinem Sohn. Worauf der sich freute, Tina aber verneinte, denn sie verabscheute Wein was Bianca wurmte, die nämlich offiziell in einer Beziehung mit dem Milchbauern lebte. Kompliziert, wirr und abgefahren. Wie gesagt, in Schnorkheim liebäugelte jeder mit jedem. Fakt aber war, dass es mindestens drei Tatverdächtige gab, die einen Grund besaßen die ehemals attraktive Dorfschönheit aus dem Weg zu räumen. Olaf, Fritz und Bianca.
Vertieft in meine kriminalistischen Überlegungen raschelte es plötzlich hinter mir. Gleich einem Brummkreisel wirbelte ich herum, zückte meine Dienstwaffe und richtete sie auf den Schmetterlingsstrauch.
„Nicht schießen!“ Kalle, der Nachbarsohn der Müllers, kroch hinter einem Meer aus violetten Blütenrispen hervor. Schlamperei. Niemandem durfte es möglich sein während der Spurensicherung den Tatort zu betreten. Soviel zu Theorie und Praxis.
Sein Outfit, ein Car-Pyjama, passte genauso wenig zu der morbiden Umgebung wie mein Mickey Mouse-Shirt. Ich musste grinsen.
„Entschuldigung“, sagte er mit gesenktem Blick. Schielte aber von unten zu meiner Dienstwaffe, die ihn offensichtlich beeindruckte.
„Was machst du hier draußen? Du solltest im Bett liegen.“
„Die Blaulichter“, erklärte er. Seine Mimik glich der eines schuldbewussten Cockerspaniels. Hängender Mund, hängende Augenlider, nur die Ohren blieben an ihrer Position.
Muttergefühle überkamen mich nie. Selbst Welpen entlockten mir seltenst „oh-wie-süß“-Laute aber Kalle berührte mein Herz.
Gerade mal zehn Jahre alt besuchte er die sechste Klasse des Gymnasiums. Das Wunderkind von Schnorkheim. Sein Intelligenzquotient betrug 209! Nur zum Spaß ermittelte ich meinen per Internettest, vergaß das Ergebnis jedoch direkt.
Einrichtungen für hochbegabte Kinder rissen sich um ihn aber seine Eltern wollten ihren Sohn in einer „normalen“ Umgebung aufwachsen sehen.
Die blonden Haare trug er kinnlang, was seine wachsamen blauen Augen zum Teil verdeckte. Eine unmögliche Frisur, wie ich fand, trotzdem bei der heutigen Jugend sehr angesagt. So lebte jede Generation ihre haarigen Unarten aus. Arme und Beine glichen dünnen Stöckchen, die unbeholfen an seinem schmalen Körper hingen. Fragen beantwortete er kurz und knapp, was ich begrüßte. Den ganzen Tag traf ich auf Menschen, die sich in Erklärungen und Ausflüchten verstrickten um am Ende wissen zu wollen: „Hä? Worum ging es?“ Schrecklich. Kalle begegnete einem stets höflich und freundlich, drängte sich nie in den Vordergrund, aber wenn jemand Hilfe brauchte, war er sofort zur Stelle. Leider konnten die anderen Kinder wenig mit dem Sonderling anfangen und so saß er, Tag für Tag, in seinem hauseigenen Chemielabor während seine Altersgenossen Fußball spielten oder am See herumtollten.
„Was ist mit Tina?“ Seine Augen wanderten zwischen meiner Waffe und der am Boden liegenden Frau hin und her. „Ist sie tot?“

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